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Stadt St.Gallen
02.11.2020
02.11.2020 10:53 Uhr

«Wie schnell haben wir Freiheit aufgegeben?»

Gallus Hufenus ist 40, Stadtmensch, Betreiber des Kaffeehauses und seit zehn Jahren Stadtparlamentarier (SP).
Gallus Hufenus ist 40, Stadtmensch, Betreiber des Kaffeehauses und seit zehn Jahren Stadtparlamentarier (SP). Bild: zVg
Das Kaffeehaus in der Stadt St.Gallen ist ein Ort, wo Luftschlösser in den Himmel wachsen sollen und Kaffee geröstet wird. Doch zurzeit steht alles Kopf.

«Gemäss Marketing-Leitlinien müssten wir hier nun wohl etwas schreiben über 'sicher geniessen', etc… Aber wir bevorzugen es, authentisch zu sein bleiben anstatt einen auf gute Miene zu spielen. Wir dürfen zeigen, wenn die Gedanken schwer wiegen», beginnt der Facebook-Post auf der Seite des Kaffeehaus.

Gallus Hufenus, Kaffeehaus-Inhaber und Stadtparlamentarier, steht wie viele Gastronomen vor einer Herausforderung – erneut. Seit Monaten müssen sich Cafés, Bars, Restaurants, Clubs oder Kulturanbieter auf neue Massnahmen in kürzester Zeit einstellen. Stillschweigend setzen sie diese quasi über Nacht um. Auf Facebook teilt Gallus Hufenus nun seine Gedanken dazu und erntet grossen Zuspruch. Hier Teile davon:

«Klar möchten wir mittun für die Gesundheit von uns allen, für ein gesundes Leben, das die Ursachen für die Entstehung von Erregern wie Corona vermeiden würde. Wir würden dies zielführender erachten als die Symptome zu bekämpfen – was anscheinend, egal ob nun Massnahmen streng sind oder nicht, nicht gelingen wird - und wir das Lernen mit dem Virus zu Leben immer und immer wieder in die Zukunft verschieben, statt heute damit zu beginnen. Die Gesellschaft will nicht über Leben, Sterben nachdenken und es nicht versuchen, über unsere Ziele der Massnahmen einig zu werden. In ruhigen Monaten tun wir es nicht, weil der Leidensdruck zu tief war/ist. In schwierigen Phasen, wie im Frühling oder jetzt, auch nicht, obwohl der Leidensdruck zwar hier wäre – aber halt grad nicht «der Moment» dafür ist, weil anscheinend akute Gefahr.

Magie der Achtsamkeit
Also ist der Moment nie da, dem Virus zuzuhören, die Magie der Achtsamkeit zu entdecken. Doch alternativ (oder wenigstens zeitgleich) könnte man beginnen, das (Wirtschafts)-System, das wir mit Masken & Co. am Leben erhalten zu versuchen, beginnen zu hinterfragen. Und wer von hohen Zahlen vielleicht auch profitiert.

Konsequenz, wenn wir dies nicht tun und weitermachen als gesichtslose Konsument*innen (Masken sind neben Virenschutz für mich auch Sinnbild dafür): Wir müssen für nicht enden wollende Zeit dieses Katz und Maus-Spiel weiterführen (oder alles auf die Impfung setzen, so sie denn wirkt, und nicht neue Viren auftauchen in kurzer Zeit) Wir möchten solidarisch sein, wenn wir Massnahmen verstehen und einen Sinn, eine Perspektive, ein Ziel sehen; und doch, es schmerzt, wenn ein bewusst geschaffener Freiraum für die Stadt, ein Kaffeehaus, ein Ort des Austauschs, für Tango-Umarmungen, ein Luftschloss für Utopien statt «Coffee to go», unmenschlich zerstört wird; der für uns schönste Raum der Stadt zerschnitten wurde, wir die Gäste zurechtweisen müssen, wenn sie mal stehen statt sitzen.

Emotional ist vieles kaputt gegangen
Wie schnell haben wir Freiheiten aufgegeben? Wir tragen die Massnahmen mit, solange es dient, die Gesundheitskapazitäten nicht zu überlasten; wir haben aber Mühe, wenn es in ein Zählen der positiven Testresultate kippt und diese einfach tief sein müssen. Wir versuchen die Massnahmen weiterhin mitzutragen und danken für eure Mitarbeit dazu. Gleichzeitig hoffen wir, dass die Identität eines Kaffeehauses weiterhin funktionieren wird und versuchen euch weiterhin kleine Oasen der Auszeit zu öffnen. Ökonomisch sind wir weiterhin auf einem guten Weg, dafür sind wir euch sehr dankbar. Ohne euch ginge das nicht. Aber emotional ist vieles kaputt gegangen; die emotionale Energie geht uns langsam aus. Wir hoffen, dass wir die Kraft finden, Dinge, die wir nicht ändern können zu akzeptieren. Dinge, die wir ändern können, zu ändern.

Und die Weisheit, zwischen erstem und zweitem zu unterscheiden. Und immer zur Authentizität zu finden und entsprechend zu entscheiden und zu handeln. Danke fürs Verständnis, dass auch diese Gedanken mit Gesundheit zu tun haben. Den Artikel 1 der Verfassung der WHO besagt, «die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.»

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