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Kultur
23.10.2020
28.10.2020 14:15 Uhr

Ohne Um!bau geht es nicht

Werner Signer, Bild: Marlies Thurnheer
Werner Signer, Bild: Marlies Thurnheer Bild: FS
Während der zwei Jahre dauernden Sanierung des Theaters St.Gallen werden Schauspiele Die 50 auf 26 Meter grosse Konstruktion «Um!bau» aus 350 Kubikmetern Holz bietet rund 500 Gästen Platz.

Text: Stephan Ziegler

Werner Signer, wo werden Sie am Abend des 24. Oktober sein?
Lassen Sie mich zuerst die Agenda konsultieren. Nein, im Ernst: Dieses Datum leuchtet schon lange in unserem Spielplan, an diesem Tag findet im Um!bau die erste Vorstellung statt. Sie dürfen dreimal raten, wo ich dann sein werde.

«Giulio Cesare in Egitto» ist das erste Stück, das im Um!bau, dem neu erstellten Provisorium des Theaters St.Gallen, gespielt wird. Wie schätzen Sie Atmosphäre und Akustik im Vergleich zum «alten» Theatergebäude ein?
Die ersten Eindrücke machen uns Freude, das Gebäude mit viel sichtbarem Holz hat Charme. Über die akustischen Verhältnisse
können wir noch nicht viel sagen, da im Zuschauerraum derzeit immer noch Bauarbeiten ausgeführt werden. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir eine für alle Sparten gute Akustik haben werden.

Die Oper von Georg Friedrich Händel ist eine mittelgrosse Produktion; sind grosse im Provisorium auch möglich?
Produktionen mit grösserer Besetzung sind möglich – und auch geplant. Aber dafür mussten wir uns etwas einfallen lassen. Weil in der Aida der coronabedingt vorgeschriebene Abstand für die Chormitglieder auf der Bühne nicht eingehalten werden kann, wird der Chor von der Tonhalle aus übertragen. So kommen die Besucherinnen und Besucher trotz der Ausnahmesituation in den uneingeschränkten Genuss der wuchtigen Verdi-Chöre.

Und wie sieht es mit Musicals aus – St.Gallen ist ja bekannt für Weltpremieren, die im Auftrag des Theaters entstanden sind?
Das Musical Wüstenblume, dessen Erfolg im Frühling wenige Wochen nach der Uraufführung durch das Veranstaltungsverbot jäh gestoppt wurde, steht ab November wieder auf dem Spielplan. Sie sehen also, Musicals wird es auch während der Sanierungszeit geben. Schon im Dezember folgt The Sound of Music, im Februar hat Jesus Christ Superstar Premiere.

Der Um!bau wurde – vor Corona – für 500 Personen geplant. Wieviele können jetzt mit Corona eine Aufführung geniessen?
Unser Schutzkonzept, das auf Vorgaben des Bundes und den Konzepten des Schweizerischen Bühnenverbandes, des Verbands Schweizerischer Berufsorchester und des Schweizer Verbands technischer Bühnen- und Veranstaltungsberufe basiert und in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden entwickelt wurde, sieht als Kernpunkte eine generelle Maskenpflicht in sämtlichen Räumen und ein konsequentes Contact Tracing vor. Dazu kommen weitere Massnahmen wie regelmässiges Lüften und Desinfizieren und natürlich die üblichen Hygienevorschriften des BAG. Diese Vorkehrungen erlauben es, die zur Verfügung stehenden Plätze auszunutzen.

Und gibt es für Schauspieler, Chor und Orchester Einschränkungen?
Die erwähnten Vorkehrungen betreffen im gleichen Rahmen auch die Künstlerinnen und Künstler. Die Abstandsregel von 1,5 Metern bzw. 2 Metern für Sängerinnen und Sänger ist absolut einzuhalten.

Wurde auch im Um!bau geprobt oder hatten Sie Ausweichmöglichkeiten?
Seit Ende September wird im Um!bau geprobt. Dazu stehen uns weiterhin unsere Proberäume an der Dürrenmattstrasse und die beiden Theatersäle in der Lokremise zur Verfügung. Sanierungsbedingt haben wir Räume in weiteren Lokalitäten zugemietet, etwa im Hauptbahnhof oder in der Rudolf-Steiner-Schule.

Die Bühnenbilder werden aber nach wie vor im Theater selbst gebaut, oder?
Ja, die Werkstätten im Stammhaus bleiben während der ganzen Sanierungszeit im Betrieb, sie sind von den Bauarbeiten nicht direkt tangiert.

Zurzeit finden Aufführungen im Um!bau, in der Tonhalle und in der Lokremise statt. Lohnt sich das finanziell für das Theater?
Es geht nicht um die Frage nach der Rendite. Den Theaterbetrieb während der gut zwei Jahre dauernden Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten einzustellen, war schlicht keine Option, weder aus Sicht des Theaters noch aus Sicht des Kantons St.Gallen als Haupt-Subventionsgeber.

Wissen Sie schon, was mit dem Um!bau nach der abgeschlossenen Renovation des Theatergebäudes passieren wird?
Nein, aber der Entscheid über die Weiterverwendung liegt auch nicht in unserer Kompetenz. Wie das Theatergebäude gehört auch das Provisorium dem Kanton, der folglich über die Zukunft des Um!bau befinden wird.

Kommen wir zur Renovation des Theaters: Was sind für Sie die wesentlichen Punkte, die ab 2023 Ihr bzw. das Leben
von Schauspielern, Chor und Orchester leichter machen wird?
Die Mitglieder des Theaters und des Sinfonieorchesters finden nach der Sanierung zeitgemässe, den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Arbeitsplätze und eine verlässliche technische Infrastruktur vor. Sie werden zudem das gute Gefühl haben, in einem Haus ein- und auszugehen, das auch energetisch dem heutigen Standard entspricht.

Und was ändert sich hauptsächlich für die Gäste?
Letzteres gilt auch für das Publikum. Wir müssen uns bewusst sein: Durch die Sanierung entsteht kein neues Theater. Um es einmal so zu sagen: Die Theaterfreundinnen und -freunde werden ihr Haus sehr wohl wiedererkennen.

Zur Sanierung gehört auch ein Erweiterungsbau im Nordwesten, selbstverständlich auch in Sechseckform: Was wird
dieser umfassen?
Durch die Erweiterung erhalten wir in den Künstlergarderoben und Maskenräumen mehr Platz, der Kassenbereich wird neu gestaltet. Durch eine Ausweitung der Fläche im Untergeschoss können dort die Arbeitsräume neu mit Tageslicht versorgt werden.

Hand aufs Herz: Die technischen Installationen entsprechen schon lange nicht mehr dem aktuellen Standard, auch arbeitstechnisch musste (zu) viel improvisiert werden – warum hat man mit der Renovation des Theaters so lange gewartet? Der «Neubau» an der Kantonsschule von 1964 wurde wegen ähnlicher Mängel bereits 2003 abgerissen..
Beim jetzigen Eingriff handelt es sich um die erste Totalsanierung des Gebäudes; es ist aber nicht so, dass vorher keine Unterhalts- oder Optimierungsarbeiten getätigt worden wären. Ich erinnere an die Fassadenrenovation, die Erweiterung des Orchestergrabens, die Auffrischung der Bestuhlung oder die Erweiterung der Werkstätten. Jetzt war eine Totalsanierung mit der Priorität auf energetischen und technischen Aspekten unumgänglich. Bei solchen Projekten geht es jeweils nicht nur um das Wünschbare, sondern auch um die politische Machbarkeit.

Das Kunstwerk «Gran Esquinçal» von Antoni Tàpies sorgte 1971 für einen Kulturskandal in St.Gallen. Wird es auch im renovierten Theater zu sehen sein?
Der Tàpies ist fachgerecht zerlegt worden und wartet jetzt in Holzkisten, bis er nach dem Abschluss der Sanierungsarbeiten im Foyer wieder so montiert wird, wie ihn die Theatergänger seit fünfzig Jahren kennen.

Und was wird 2023, bei der Eröffnung des renovierten Theaters, zu einem Kulturskandal führen?
Lassen wir uns überraschen! Skandale sind eigentlich nicht Bestandteil unserer Planung ... Was wir hoffen und anstreben: Dass wir im Lauf der Spielzeit 2022/2023 das renovierte und erweiterte Theater termingerecht mit einer fulminanten Produktion wieder eröffnen können.

Zum Schluss: Werden eigentlich die Sessel nach wie vor das vertraute Violett umfassen?
Die violette Farbe der Sitzpolster gehört zum Paillard-Bau wie die 60- und 120-Grad-Winkel. Sie steht wie das ganze Gebäude unter Denkmalschutz und wird also auch nach der Sanierung zur unverwechselbaren Aura unseres Theaters beitragen.

Dieser Text ist aus der LEADER Ausgabe Oktober. Die LEADER-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch.

 

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