Brigitte Lüchinger ist als Präsidentin des Arbeitgeberverbandes Rheintal und erfolgreiche Unternehmerin, also als Proponentin der Wirtschaft, der Ansicht, dass diese Begrenzungsinitiative, die auf eine Abschaffung und Neuverhandlung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU zielt, nur erhebliche Probleme schafft und keine Probleme löst. In einem Interview mit unserem Partnerportal rheintal24.ch bezieht sie Stellung. rheintal24.ch hat bereits dem Kampagnenleiter Ostschweiz der am Sonntag zur Abstimmung gelangenden Begrenzungsinitiative Mike Egger den Raum gegeben, seinen Standpunkt zu vertreten.
Brigitte Lüchinger, glauben Sie, dass die SVP bisher überhaupt deutlich machen konnte oder wollte, worum es in ihrer „Begrenzungsinitiative“ geht? Und was die weitreichenden Konsequenzen bei einer Annahme derselben wären?
Das sehen wir, wenn die Abstimmungsresultate vorliegen. Ich verstehe gewisse Anliegen der SVP, bin aber der Meinung, dass wir diese nicht mit dieser Abstimmung lösen können. Es ist ein komplexes Thema. Die Personenfreizügigkeit ist Teil des Pakets von sieben Verträgen der Bilateralen 1, welche nach dem EWR Nein 1992 ausgehandelt wurde. Eine Annahme würde zwangsläufig zur Kündigung und auf das Dahinfallen aller Abkommen der bilateralen Verträge 1 führen, da sie über die Guillotine-Klausel miteinander verknüpft sind. Ein grosser Teil unserer Mitgliedsfirmen sind aber auf den Export und auf gute Handelsbeziehungen mit der EU dringend angewiesen. Die Initiative schafft erhebliche Probleme und löst schlichtweg keine. Die Schweiz benötigt in vielen Bereichen (Industrie, Forschung und Entwicklung, Dienstleistungen, Gesundheitswesen etc.) Fachkräfte aus der EU. Die Personenfreizügigkeit gewährleistet eine unbürokratische Rekrutierung solcher Fachkräfte.
Würde eine Beschränkung der Zuwanderung von Fachkräften und den vielgenannten «Büezern» aus dem EU-Raum der Wirtschaft schaden?
Die zusätzliche Unsicherheit, die ein vertragsloser Zustand mit sich bringen würde, würde der Wirtschaft mit Sicherheit schaden. Gerade in einer Grenzregion, wie wir es sind mit einem hohen Exportanteil. Für die Anstellung von Personen aus der EU würden wieder Kontingente und bürokratische Hürden eingeführt. Ein grosser Wettbewerbsnachteil wäre auch der Wegfall der gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen, stellen gerade doch viele Rheintaler Unternehmen High-Tech- und Präzisionsprodukte her, die sie in der EU verkaufen. Die Initianten argumentieren zudem, dass unser Land die Zuwanderung wieder eigenständig steuern muss. Dabei hat es seit der Einführung der Personenfreizügigkeit keine unkontrollierte Zuwanderung gegeben. Die EU-Bürger kamen überwiegend, weil sie einen Arbeitsplatz in der Schweiz hatten, oder als Familienangehörige meist hochqualifizierter Arbeitskräfte.
Wie sehen Sie das Argument der SVP, die «Guillotineklausel», wonach die ganzen Bilateralen gekündigt werden müssten, wenn die Personenfreizügigkeit gekündigt wird, käme nicht zum Tragen, weil die EU ein überwiegendes Interesse am Festhalten an den restlichen Verträgen habe?
Sicher sind die Verträge auch im Interesse der EU. Aber bei einer Kündigung der Personenfreizügigkeit fallen die Bilateralen 1 automatisch weg. Das ist Fakt und wurde dazumal so verhandelt. Der bilaterale Weg, wie wir ihn für die Schweiz gewählt und ausgehandelt haben, hat sich bewährt.
Wenn es um gestiegene Kriminalität und das Entstehen von Parallelgesellschaften geht, müsste dann nicht viel mehr die Zuwanderung aus Ländern mit einer anderen Leitkultur als der christlich-abendländischen beschränkt werden?
Auch ich mache mir Sorgen um die Zukunft unseres Landes und möchte viel Sicherheit. Zudem ist mir wichtig, dass wir unsere Schweizer Werte hochhalten und gewisse Traditionen nicht verlieren. Durch die Globalisierung bzw. die gesamte weltweite Vernetzung und aufgrund der Digitalisierung hat sich vieles verändert – auch zum Positiven. Wir können die Veränderungen nicht aufhalten. Wir müssen positiv damit umgehen und mitgestalten.
Gesetzt den nach den aktuellen Umfragen doch unwahrscheinlichen Fall der Annahme der Begrenzungsinitiative müsste der Bundesrat mit der EU innerhalb der wohl illusorischen Frist von einem Jahr eine Ersatzlösung verhandeln. Am Beispiel Brexit ist aber zu sehen, dass ein Jahr sicher eine weit zu kurze Frist ist. Wäre das der Tod der Schweizer Wirtschaft?
Die Schweizer Wirtschaft stirbt nicht so schnell. Sie ist innovativ und beweglich, das hat sie bei all den Herausforderungen der letzten Jahre schon mehrmals bewiesen. Die Aufwertung des Schweizer Frankens in den letzten Jahren erforderte viel Geschick und Prozessoptimierungen von den Unternehmen. Aktuell ist Corona eine enorme Belastung nicht nur für die Schweizer Wirtschaft. Es braucht auch in Zukunft viel gegenseitiges Verständnis und wir dürfen niemals träge werden.