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Stadt St.Gallen
08.03.2024
08.03.2024 16:34 Uhr

Der Himmel auf Erden oder eine Verlagerung des Problems?

Gegner und Befürworter der Initiative duellierten sich unter der Leitung von Hanspeter Trütsch (rechts).
Gegner und Befürworter der Initiative duellierten sich unter der Leitung von Hanspeter Trütsch (rechts). Bild: Jonas Schönenberger
Am Donnerstag, 7. März wurde in der Gewerblichen Berufsschule (GBS) im Riethüsli intensiv über den Liebegg-Tunnel und den Autobahnanschluss Güterbahnhof diskutiert. Der Quartierverein Riethüsli lud zur Podiumsdiskussion zwischen Gegnern und Befürwortern des Projekts.

Wer regelmässig auf der Teufener Strasse unterwegs ist, kennt das Problem. Auto reiht sich an Auto, niemand kommt so richtig vom Fleck, man versteht kaum sein eigenes Wort. Rund 12'000 Fahrzeuge rollen pro Tag durch das Quartierzentrum von Riethüsli, auf Höhe Felsenstrasse sind es gar 19'000 pro Tag.

Untendurch statt obendurch

Und wie Pascal Hinder, Leiter Verkehrsplanung des Kantons St.Gallen in seinem kurzen Referat erläutert, soll diese Entwicklung in den nächsten Jahren auch nicht aufhören: «Laut den Szenarien des Bundes soll der Autoverkehr zwar weniger stark zunehmen, trotzdem könnten 2040 über 20'000 Fahrzeuge über die Teufener Strasse rollen.»

Dem soll nun ein Riegel vorgeschoben werden. Statt obendurch soll der Verkehr ins Appenzellerland neu untendurch geführt werden, und zwar durch einen Tunnel, der die Liebegg oberhalb von Riethüsli mit der Autobahn verbinden soll. Das Projekt ist Teil der «Engpassbeseitigung St.Gallen», zu der auch die 3. Röhre im Rosenbergtunnel und die Unterhaltsplanung zwischen St.Fiden und Neudorf gehört.

Entlastung für das Quartier Riethüsli

Die Auswirkungen auf das Quartier Riethüsli wären nach den Berechnungen äusserst positiv. Der Verkehr im Quartierzentrum würde um 70 Prozent abnehmen. «Für das Riethüsli würde das mehr Sicherheit und weniger Lärmbelastung bedeuten», prophezeit Hinder, «die Quartiere könnten lebendiger und familienfreundlicher gestaltet werden.»

Bis es allerdings so weit ist, dürfte es noch eine Zeit dauern. Diverse Verhandlungen, Volksabstimmungen und Bewilligungsverfahren ermöglichen einen Baustart frühestens im Jahr 2030. Läuft alles nach Plan, wird der Liebegg-Tunnel im Jahr 2040 fertiggestellt sein. Hinder zeigt daraufhin eine Visualisierung, wie es nach der Fertigstellung im Riethüsli aussehen könnte. Von der grauen Blechlawine ist nicht mehr viel zu sehen. Dafür viele Bäume und fröhliche Eltern mit ihren Kindern.

So könnte die Teufener Strasse nach dem Bau des Liebegg-Tunnels neu gestaltet werden. Bild: Kanton St.Gallen

Der Himmel auf Erden

Begeistert von diesem Zukunftsbild zeigt sich in der anschliessenden Podiumsdiskussion Hannes Kundert, ehemaliger Präsident des Quartiervereins Riethüsli und nun Mitglied im Verein «Unser Lebensraum», der den Liebegg-Tunnel befürwortet. «70 Prozent weniger Verkehr in unserem Quartier. Leute, das ist der Himmel auf Erden!», schwärmt er.

Auch seine Vereinskollegin Karin Bischoff, Gründerin von «Die Manufaktur GmbH», freut sich auf den Tunnel. «Als Velofahrerin bin ich noch so froh, wenn der Verkehr, der unnötigerweise durch St.Gallen fliesst, in Zukunft untendurch geht.» Kundert fügt etwas frustriert hinzu: «Ich verstehe nicht, wie man gegen so etwas sein kann.»

Verkehrschaos in der Innenstadt

Dagegen sind Marco Dal Molin und Markus Tofalo «Verein gegen den Autobahnanschluss am Güterbahnhof St.Gallen». Der SP-Stadtparlamentarier Dal Molin begründet seine Haltung so: «Kurz gesagt: Diese Umfahrung kostet viel und bringt wenig.» So verweist er auf einen Fakt, die in der vorangegangenen Präsentation von Pascal Hinder ebenfalls aufgetaucht war: «Der Verkehr auf der Teufener Strasse nimmt zwar ab. Auf der Oberstrasse und der Davidstrasse nimmt er hingegen aufgrund des Autobahnanschlusses Güterbahnhof zu.»

Und dann schwappt die Diskussion plötzlich vom Tunnel zu ebendiesem Autobahnanschluss am Güterbahnhof über. Die Gegner befürchten eine Verlagerung des Problems in die Innenstadt. «Wir haben dann vielleicht weniger Verkehr auf der Teufener Strasse, aber dafür haben wir dann in der Innenstadt, wo die Strassen bereits jetzt verstopft sind, ein gigantisches Verkehrschaos», warnt Tofalo, Stadtparlamentarier für die Grünliberalen.

Markus Tofalo (links) und Marco Dal Molin (rechts) vom «Verein gegen den Autobahnanschluss am Güterbahnhof St.Gallen» Bild: Jonas Schönenberger

Tempo 30 auf der Teufener Strasse?

Moderator des Abends ist Hanspeter Trütsch. Der ehemalige SRF-Bundeshausredaktor weist die Debattierenden auf die lange Zeitspanne bis zur Fertigstellung des Tunnels hin: «Das Problem ist ja jetzt schon real. Was wäre denn die kurzfristige Lösung ohne den Tunnel?»

«Eine 30er-Zone auf der Teufener Strasse», antwortet Dal Molin wie aus der Pistole geschossen. Dieser Vorschlag löst bei Kundert jedoch wenig Begeisterung aus: «Ich glaube, das bringt noch mehr Stau. Das wäre für mich auch keine Alternative. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Tunnel uns hilft.»

ÖV mehr fördern

Dal Molin sieht das Problem aber auch als teilweise hausgemacht: «Ein grosser Teil des Verkehrs kommt immer noch aus dem Riethüsli. Die fahren ja sicher nicht in die Liebegg und nehmen dann den Tunnel, die fahren weiterhin die Teufener Strasse runter.» Tofalo ergänzt: «Wir müssen dafür sorgen, dass die Bevölkerung von Riethüsli mehr mit dem ÖV fährt und nicht noch mehr in den Autoverkehr investieren.»

«Wir haben bereits 90 Millionen in den Ruckhalde-Tunnel der Appenzeller Bahnen investiert», kontert Kundert, «verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es total praktisch, vom Riethüsli direkt an den Marktplatz fahren zu können. Aber es ist definitiv nicht so, dass jetzt das ganze Quartier nur noch mit der Bahn fährt.»

Hannes Kundert (links) und Karin Bischoff (rechts) vom Verein «Unser Lebensraum» Bild: Jonas Schönenberger

Pendlerverkehr vermindern

In einem Punkt finden die beiden Parteien dann aber doch noch einen Konsens: «Das Problem ist der Pendlerverkehr. Man muss wieder mehr fördern, dass die Leute dort arbeiten, wo sie wohnen», findet Kundert.

Dal Molin und Tofalo reagieren darauf mit intensivem Kopfnicken. «Pendeln soll nicht vom Staat gefördert werden», pflichtet Tofalo bei.

Kritik aus dem Publikum

Im Anschluss wurde die Runde für das zahlreich erschienene Publikum geöffnet. Dass das Thema bewegt im Quartier, spürt man. Rund 100 Personen sind an diesem Abend im Saal zugegen. Eine Frau kritisiert, dass man nicht auf die Mobilität der Zukunft eingehe: «In 16 Jahren werden die Autos viel intelligenter sein als heute. Wenn sich damit Stau verhindern lässt, löst das vielleicht das Problem.»

Ein anderer greift die Gegner des Tunnels direkt an: «Ich höre hier ganz viel Ideologie und keine Lösung. Wenn ihr auch nur einmal an die Teufener Strasse stehen würdet, dann würdet ihr erkennen, wie gefährlich die Situation hier für alle ist und dass es eine Lösung braucht.»

Auch in der Bevölkerung gibt der Tunnel viel Anlass zur Diskussion Bild: Jonas Schönenberger

Schaden wird nicht beziffert

Auch an der Haltung des Kantons gibt es Kritik. Ein Mann findet, dass der Nutzen oft beziffert werde, der Schaden aber nicht. «Es gibt keine Bezifferung des CO₂-Ausstosses beim Bauen und beim Portal in der Liebegg wird die Natur massiv verbaut», kritisiert er, «ausserdem frage ich mich, wo der Aushub vom Tunnel hinkommen soll.»

Darauf kontert Pascal Hinder: «Diese Probleme konnten in der Mitwirkung besprochen werden, die wir jetzt abgeschlossen haben. Zum Aushub kann ich sagen, dass wir mit der Gemeinde Mörschwil im Gespräch sind, um die Deponie Wisental benutzen zu dürfen.»

Am Ende ein Kompromiss?

Einer der Quartierbewohner ruft jedoch zur Gelassenheit auf: «Wir müssen uns auch ein bisschen selbst an der Nase nehmen. Wir haben ein Bähnli, das uns direkt in die Innenstadt führt. Also, lasst uns die Sache in die Hand nehmen und mehr mit dem Bähnli fahren.»

Und für Hanspeter Trütsch kommt als Lösung auch ein Kompromiss in Frage. Dazu zitiert er den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Ludwig Erhard: «Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das grösste Stück bekommen.»

Jonas Schönenberger
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