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Gast-Kommentar
Stadt St.Gallen
13.09.2023
13.09.2023 09:21 Uhr

«Die Bevölkerung muss das ganze Bild sehen»

Marcel Baur, Präsident der Grünliberalen der Stadt St.Gallen
Marcel Baur, Präsident der Grünliberalen der Stadt St.Gallen Bild: zVg
Der Verkehr wird in St.Gallen ohne neue Massnahmen kollabieren, sagt Präsident der TCS-Sektion St.Gallen-Appenzell Innerrhoden Marcel Aebischer in einem Interview. Eine Gegendarstellung von glp-Stadtparlamentarier Marcel Baur.

Herr Aebischer zählt bei der ersten Frage im Interview gleich mehrere Punkte auf, die seiner Meinung nach die Erreichbarkeit der Stadt erschweren.

Tempo 30 und Parkplatzverteuerung sind zwei Punkte, die so noch nicht umgesetzt sind. Ihr Einfluss kann demnach noch nicht abgeschätzt werden. Herr Aebischer muss aber zur Kenntnis nehmen, dass es sich hier um demokratische Entscheide des Stadtparlamentes handelt. Das mag zwar nicht gefallen, ist aber zu akzeptieren.

Der viel geäusserte Vorwurf, die Stadt baue Parkplätze ab, stimmt nur bedingt.

In erster Linie sind es die privaten Parkhausbetreiber, die abgebaut haben, und zwar eher unfreiwillig, weil die Autos immer mehr Platz benötigen. Bei den städtischen Oberflächenparkplätzen wurden aufgrund eines Entscheides des Verwaltungsgerichtes Plätze abgebaut, die mit dem neuen Parkhaus UG25 mehr als kompensiert werden. Mit der Eröffnung steigt die Anzahl Parkplätze auf ein noch nie dagewesenes Angebot.

Bei der Fehlplanung spricht Herr Aebischer vermutlich die Autobahnsanierung und Sanierung/Umgestaltung Zürcherstrasse an. Dass diese zeitlich zusammenfallen, hat ihre Ursache in Einsprachen. Die Zürcherstrasse wäre längst fertiggestellt gewesen. Zudem, dass die Sanierung der Stadtautobahn mehrere Jahre in Anspruch nimmt, war bekannt. Die Stadt kann ihre Aufgaben bei den Strassen nicht einfach ein paar Jahre einstellen, bis die Sanierung der Autobahn durch ist. Sie muss geplante Bauten wie z.Bsp die Fernwärmeleitungen trotzdem durchziehen. Hier lapidar von Fehlplanung zu sprechen, ist nicht zielführend.

Zur Frage 4: Verkehrskollaps bis 2040

Prognosen zu erstellen, ist sicher eine grosse Herausforderung. Der Bund rechnet aber auch damit, dass der Verkehr bis 2050 wieder stagniert respektive sich der herkömmliche «manuelle» Verkehr um 30 Prozent reduzieren wird. Ab 2030 werden autonome Fahrzeuge nach und nach den herkömmlichen Autoverkehr in Teilen ersetzen. Dadurch ergeben sich grosse Chancen beim Verkehrsfluss. Diese vom Bund prognostizierte Entwicklung findet bislang keine Erwähnung. Wollen wir wirklich ein derartiges Generationenprojekt in für vielleicht max. 10 Jahre in Angriff nehmen?

Frage 5: Alles nur Ideologie?

Ich bin mir durchaus bewusst, dass gewisse Punkte rein ideologisch betrachtet werden. Davon sind aber sowohl Befürworter wie Gegner betroffen. Es gibt jedoch durchaus völlig unideologische Punkte, die gegen den Anschluss Güterbahnhof sprechen. Die 3. Röhre wird ja nicht infrage gestellt.
Ein Punkt wäre zum Beispiel, dass im Planungsperimeter des Feldlitunnel rund 130 Liegenschaftenbesitzer bereits heute nicht mehr einfach in den Untergrund bauen dürfen. Das heisst keine Neubauten mehr mit Untergeschossen geschweige denn Bohrungen für Erdsonden. Ebenfalls nicht geklärt ist, was mit den produzierenden Firmen wie z.Bsp. Schott passiert. Es besteht eine grosse Chance, dass diese ihre Produktion während der Bauphase einstellen müssen oder gar ganze Standorte aufgelöst werden.

Mindestens so unideologisch, sondern Fakt ist, und das hat die Testplanung ergeben, dass es zu Teilabbrüchen historischer Gebäude kommt, dass die St.Leonhardsbrücke erweitert werden muss und dass der Verkehr von Teufen her um 50 % zunimmt. Dies noch vor dem Tunnel Liebegg. Damit gelangt man bereits an die Kapazitätsgrenzen des Anschlusses.

Aber auch der innerstädtische Verkehr nimmt an einigen Orten bis zu 45 % zu. Das ist massiv mehr als vom Bund prognostiziert. Diese Zahlen finden sich in der Information der Verkehrsmodellierung des Kantons, die Ende August veröffentlicht wurde.

Zur Frage: Wo liegen die Vorteile beim unterirdischen Verkehr?

Das stimmt nur dann, wenn man den Verkehr tatsächlich in den Untergrund verbannt. Etwas, das niemand bestreiten wird.
Baut man aber die Tunnels nicht, dann sind die Chancen und Möglichkeiten für die Gebiete um einiges grösser. Denn es ist eine Tatsache, dass das ASTRA auf unterirdischen Bauten, die im Tagbau ausgeführt werden, keine intensive Nutzung zulassen.

Ein Beispiel ist der Stephanshorntunnel, der ab 2035 wieder ausgegraben wird, um eine Totalsanierung durchführen zu können. Das gilt auch für den Kreisel beim Anschluss Güterbahnhof. Sprich, wird der Anschluss gebaut, kann man zwar eine Zwischennutzung realisieren, würde er aber nicht gebaut, könnten dort auch grösser Bauten entstehen.

Zu den Kosten:

Hier rechnen Bund, Kanton und Stadt nach wie vor mit einer Ungenauigkeit von +/30 % Daraus zu schlussfolgern, dass die Stadt gut wegkommt, ist etwas gar fragwürdig. Denn bislang kennen wir kein Preisschild für die Stadt. Es braucht nebst der Beteiligung noch sehr viele flankierende Massnahmen, die die Stadt alleine zu tragen hat.

Den Ausbau der St.Leonhardstrasse habe ich bereits angesprochen, ebenfalls aus der neusten Präsentation des Kantons ist ersichtlich, dass bei der westlichen Ausfahrt Oberstrasse neue Lärmschutzmassnahmen ergriffen werden müssen. Ein Teil, den die Stadt alleine zu tragen hat. Eine ganz grobe Schätzung beläuft sich auf rund 50 bis 60 Millionen, die die Stadt zusätzlich für den Anschluss investieren muss. Dieser Betrag ist nirgends ersichtlich.

Weiter möchte ich gar nicht mehr kommentieren. Denn Herr Aebischer vergisst zu erwähnen, woher Tempo 30 kommt. Das ist die kostengünstigste und effizienteste Massnahme, um die Lärmschutzverordnung einhalten zu können. Die Alternative Flüsterbeläge sind enorm teuer und bedingen kürzere Abstände bei den Sanierungen, was wiederum mehr Baustellen bedeutet.

Schallschutzmauern können innerstädtisch aus Platzmangel und Beeinträchtigungen der Sicht selten gebaut werden. Zudem will die im übrigen auch niemand. Bleiben noch die Schallschutzfenster. Diese müssen entweder durch die Liegenschaftsbesitzer eingebaut werden oder der Staat beteiligt sich an den Kosten (gemäss LSV ist das freiwillig). So oder so entstehen für alle hohe Kosten, die man mit T30 vermeiden könnte. 

Sie sehen, es ist längst nicht alles einfach nur ideologisch, sondern die Auswirkungen sind real und sie werden leider sehr oft nicht erwähnt, weil sie ja eben faktenbasiert gegen den Anschluss sprechen. Das nennt sich übrigens ideologisch.

Es wäre sehr zu begrüssen, wenn die Hauptakteure hier ganz seriös auch mal auf die Nachteile eingehen würden.

Letztlich muss sich die Bevölkerung ein ganzheitliches Bild machen können. Und es wäre schön, wenn Medien ebenfalls für mehr Transparenz sorgen könnten.

Marcel Baur, Grünliberale Stadt St.Gallen und Mitglied des Stadtparlamentes
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