«Catcalling»:
Anzügliches (Hinterher)rufen, Reden oder (Nach)pfeifen im öffentlichen Raum. Stellt eine Form der verbalen sexuellen Belästigung dar.
Anzügliches (Hinterher)rufen, Reden oder (Nach)pfeifen im öffentlichen Raum. Stellt eine Form der verbalen sexuellen Belästigung dar.
«Auf einer Skala von eins bis zehn, wie gut kannst du blasen?», steht im farbigen Schriftzug aus Kreide auf dem Boden am St.Galler Marktplatz und lässt Passanten in der Innenstadt an der sexuellen Belästigung teilhaben, die an einer Einzelperson verübt wurde. Ähnliche «Catcalls» waren in den vergangenen Wochen an mehreren Plätzen in St.Gallen zu finden.
Hinter dieser Aktion steckt das Instagramkonto «catcallsofstgallen». Das Kollektiv von sieben Feministinnen trägt seit einem halben Jahr die entsprechenden Erlebnisse anderer Nutzer anonym in die Stadt hinaus. Etwa einmal pro Woche bekommen sie eine solche Nachricht zugeschickt.
Sie wollen, dass in den Köpfen der Menschen eine Veränderung passiert, dass man über verbale sexuelle Belästigung sensibilisiert und das Thema nicht in den Hintergrund drängt, wie sie gegenüber stgallen24 erzählen. «Wir richten uns auch an Passanten, wenn sie uns beim Kreiden zuschauen, und treten in den Dialog mit ihnen.»
Die Politik findet das Vorhaben «begrüssenswert», wie die St.Galler Stadträtin und Direktorin Soziales und Sicherheit Sonja Lüthi auf Anfrage sagt. Aber: «Es wird dafür eine Bewilligung benötigt, da es sich um gesteigerten Gemeingebrauch handelt». Eine solche liegt den Kreidemalerinnen nicht vor.
Dennoch: Dieses Kollektiv möchte weiterhin «Catcalling» in der Ostschweiz bekämpfen. Auf der ganzen Welt gibt es diverse Kampagnen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Im Jahr 2014 ging ein Video viral, worin eine versteckte Kamera einer Frau 10 Stunden durch New York folgte. Es wurden 102 Anmachen von Männern aufgezeichnet. Weiter wurde das Thema insbesondere mit der «metoo»-Bewegung 2017 stark debattiert.
Die aktuellste Mobilisierung gegen «Catcalling» ist die Kreideaktion, wie hier in St.Gallen. Das Konzept begann 2016 in New York und ist nun weltweit ebenso wie in zahlreichen Schweizer Städten vertreten: «catcallsof-»-Instagramkonten gibt es auch in Mailand, Innsbruck, München, Winterthur und Genf.
Vor allem in Ländern, wo «Catcalling» nicht strafbar ist, findet man die Strassenzeichnungen. So ist verbale sexuelle Belästigung in Frankreich, Belgien, Portugal, Peru und in den Niederlanden illegal – und kann mit Geldstrafen geahndet werden. In Spanien drohen ausserdem gemeinnützige Arbeit oder bis zu einem Monat Hausarrest.
Hierzulande wurde das gleiche Verbot wie in Spanien von einigen Jungparteien gefordert. Sie wollten im Jahr 2021 die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung auch auf verbale sexuelle Belästigung beziehen. Im selben Jahr errichtete die Stadt Zürich eine Online-Meldestelle, wo Opfer und Zeugen Belästigungen im öffentlichen Raum mitteilen. Ein Aufbau einer solchen Meldestelle sei in der Stadt St.Gallen aber noch kein Thema, sagt Lüthi.
Die Romandie engagierte sich schon 2019 mit einer App und der Kanton Wallis folgt jetzt mit einer eigenen Kampagne: «Geits no». In einem Online-Quiz können die Nutzer testen, ob sie sich angemessen verhalten.
Eine ähnliche Kampagne gibt es in der Stadt oder im Kanton St.Gallen aktuell nicht. Für das Melden von «Catcalls» ist die Kantonspolizei zuständig. Dort gingen jedoch kaum Anzeigen dazu ein, weiss Lüthi. Wenn es solche gäbe, würde die Staatsanwaltschaft das Verhalten beurteilen.
Vor zwei Jahren veröffentlichte die Kapo SG einen Frauenratgeber zur Prävention von sexuellen Übergriffen. Darin wurde denn Frauen geraten, nur im Mass Alkohol zu trinken, denn: «Es liegt auf der Hand, dass sie ein leichtes Opfer sind, wenn sie nicht bei klarem Verstand sind». Das Dokument ist nicht mehr verfügbar, zeigt jedoch die Tatsache, die auch die Gruppe von «catcallsofstgallen» stört. «Man soll nicht das Opfer schuldig machen, sondern mit Massnahmen beim Täter ansetzen».
Falls der Kanton also doch eine Kampagne lancieren würde, hätten sie die Unterstützung des Stadtrats, versichert Lüthi. «Es ist wichtig, dass das Thema angesprochen und die Bevölkerung sensibilisiert wird – gerade auch, um das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen.»
Bis auf Weiteres versuchen also nur die Kreideaktionen eine Wirkung zu erzielen – auch wenn nicht ganz legal. Sonja Lüthi zeigt aber Verständänis für die Aktion, denn wenn man solche Sprüche für die Öffentlichkeit sichtbar mache, «rüttelt das auf und man spricht darüber – und das ist wertvoll».