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Kanton
22.07.2020
22.07.2020 11:38 Uhr

KESB vs. Medien: Gericht gibt Behörde recht

Bild: zVg
Das Kantonsgericht St.Gallen beurteilt die Berichterstattung der «Obersee-Nachrichten» über die KESB als persönlichkeitsverletzend. Die Verantwortlichen nehmen Stellung.

Darum geht's:

  • Zwischen Herbst 2014 und August 2016 berichteten die  Obersee Nachrichten (ON) in rund 50 Wochenausgaben und rund 130 Beiträgen über diverse Ereignisse, bei denen die KESB Linth und deren damaliger Präsident eine Rolle spielten.

  • Dabei griff die Regionalzeitung namentlich neun von der KESB Linth betreute Fälle auf und thematisierte wiederholt die Wahl des Präsidenten sowie mutmassliche Verflechtungen verschiedener Akteure des regionalen Sozialwesens. Ausserdem posteten Drittpersonen eine Vielzahl von Kommentaren auf der Facebook-Seite der Zeitung.

  • Der Präsident der KESB Linth und die Stadt Rapperswil-Jona als deren Trägergemeinde empfanden die Berichterstattung als persönlichkeitsverletzend und erhoben entsprechend Klage gegen die ON, deren Verleger und Chefredaktor sowie gegen einen weiteren Redaktor.

  • Im Dezember 2017 fällte das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland ein erstes Urteil in der sogenannten Kesb-Klage gegen die Zeitung Obersee-Nachrichten und deren Redaktoren Bruno Hug und Mario Aldrovandi.

  • Es entschied, dass die Zeitung die Persönlichkeit des ehemaligen Leiters der Kesb Linth verletzt habe und verurteilte den Verlag und die Journalisten, den Grossteil der Prozesskosten zu tragen. 

  • Das Urteil wurde von den Redaktoren vor das Kantonsgericht St.Gallen gezogen. Auch dieses kommt zum Entschluss, dass die Berichterstattung persönlichkeitsverletztend sei.

  • Die Redaktoren Bruno Hug und Mario Aldrovandi beziehen Stellung 

Textpassagen mussten gelöscht werden
Mit dem Entscheid vom 8. Dezember 2017 schützte das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland diese Klage teilweise. Es stellte fest, dass die Berichterstattung der Beklagten, verbunden mit den publizierten Leserbriefen und Beiträgen auf der Facebook-Seite der ON, eine persönlichkeitsverletzende Kampagne gegen den Präsidenten der KESB und die Stadt Rapperswil-Jona darstelle.

Es verpflichtete die ON zur Anbringung eines entsprechenden Vermerks bei den Berichten, Leserbriefen, im Onlinearchiv usw., zur Löschung von Textpassagen in 19 Beiträgen auf ihrer Facebook-Seite und zur Publikation des Entscheids. Das Rechtsbegehren der Kläger auf ein Verbot künftiger Äusserungen zu den Teil der Kampagne bildenden Ereignissen wies das Kreisgericht ebenso ab wie die Forderung des Präsidenten der KESB auf eine Genugtuung. Das Rechtsbegehren der Kläger auf Gewinnherausgabe schliesslich verwies es in ein separates Verfahren.

Redaktoren ziehen Urteil weiter
Während die ON den Entscheid akzeptierten und dem Löschungsbegehren noch während laufender Berufungsfrist nachkamen, erhoben sowohl der in der Zwischenzeit von den ON entlassene Verleger / Chefredaktor und der ebenfalls entlassene Redaktor als auch die Kläger Berufung beim Kantonsgericht.

Dieses qualifiziert mit Entscheid vom 6. Juli 2020 die fragliche Berichterstattung wie das Kreisgericht als persönlichkeitsverletzende Kampagne. Es weist die Berufung von Chefredaktor und Redaktor ab, verbietet ihnen unter teilweisem Schutz der Berufung der Kläger bestimmte Äusserungen im Zusammenhang mit den zur Kampagne gehörenden Fällen bzw. Themen und verpflichtet die Beklagten zur Bezahlung einer Genugtuung.

Stellungnahme der Redaktoren Bruno Hug und Mario Aldrovandi

«Das Kantonsgericht St.Gallen verbietet uns Journalisten in seinem Entscheid, künftig Aussagen zu machen, welche wir gar nie gemacht haben. Damit wird uns im Urteil indirekt unterstellt, Wörter wie 'Entführung', 'Deportierung', 'Gefängnis', 'Verbannung' und 'Inhaftierung' geäussert zu haben, obwohl dies praktisch durchwegs Aussagen waren, welche Dritte in Interviews, Berichten oder Leserbriefen äusserten.

So war es der Anwalt der Mutter eines fremdplatzierten Kindes, der das Vorgehen der Kesb in einem Zeitungsinterview unter anderem als 'Entführung' und als 'skandalös' betitelte. Das Wort 'Deportierung' äusserte ein Leserbriefschreiber. Und die Aussage, das Jugendschiff sei ein Gefängnis, stammte von der Präsidentin des 'Vereins Kinderrechte Ostschweiz'.

Andere Ausdrücke, welche das Gericht uns Redaktoren zu äussern verbietet, wurde von Ärzten genannt, insbesondere vom damaligen Amtsarzt der Stadt Rapperswil-Jona.

Auch unterstellt uns das Gericht mit seinen Aussageverboten indirekt, Kesb-Verantwortliche als 'Tyrannen' oder 'machtbesessen' beschrieben zu haben. Auch das sind Aussagen, die wir nie machten und die der Kesb-Anwalt auf einen in den ON publizierten Leserbrief bezog. Der Leser schrieb allgemein zur Kesb, sie sei 'allmächtig, willkürlich und machtbesessen. Und niemand kontrolliert sie.'

Wir Redaktoren möchten mit Nachdruck festhalten, dass praktisch kein Wort, das uns nun verboten sein soll, von uns selbst stammt. Es waren fast in jedem Falle Meinungsäusserungen von Fachleuten oder Dritten, welche in der Zeitung wiedergegeben wurden.

Zudem möchten wir darauf hinweisen, dass es uns mit unseren Berichten immer darum ging, die Bürgerinnen und Bürger darauf hinzuweisen, wie die Kesb als Staatsmacht in die Persönlichkeitsrechte der Menschen eingreift.

Mit dem Urteil des St.Galler Gerichts wird eine staatskritische Berichterstattung erschwert und die Meinungs- und Medienfreiheit massiv eingeschränkt. Auch persönliche Wertungen und Meinungsäusserungen können einer Redaktion offenbar nun gefährlich werden, was zu bedauern ist.

Wir werden das Urteil zusammen mit unserem Anwalt analysieren und entscheiden, ob es angefochten wird.»

 

stgallen24
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