Hans Jörg Schmid ist ein wohlbekannter Stadt-St.Galler Architekt, Unternehmer, weltgewandter, weitgereister und belesener Bonvivant sowie Förderer vielfältiger sozialer und kultureller Projekte mit zahlreichen ehrenamtlichen Engagements. Aus seiner Feder stammen unter anderem Projekte wie der Dufourpark, die Überbauung Bernhardswiesweg, die Sanierung/Erneuerung des Hauses «Oceanic», der Neubau der SBG (heute UBS) oder die Umnutzung und Neubelebung der ehemaligen Färberei Sittertal in ein Gewerbe-, Handwerks- und Wohnareal. Jetzt hat er mit dem Grossprojekt «Haldenhof» mitten in St.Gallen einen neuen Coup gelandet.
«Herz und Auge erfreuen»
Hans Jörg Schmid, was erwartet die zukünftigen Mieter im Haldenhof?
Die Überbauung zwischen Wassergasse und Felsenstrasse umfasst vier Mehrfamilienhäuser mit rund 60 Einheiten – grosszügige, lichtdurchflutete Wohnungen und Gewerbeflächen –, die ab Mai 2021 bezugsbereit sind. Der attraktive Ausbau entspricht Eigentumsstandard, wobei die Einheiten vermietet werden.
Die Geschichte der neuen Überbauung reicht weit zurück.
Richtig. 2008 verkaufte uns die Stadt einen Teil des Areals unter der Bedingung, ein «städtebaulich und architektonisch hervorragendes Projekt» zu realisieren, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt. 2014 lagen der Überbauungs- und Gestaltungsplan auf, 2015 kam unsere Vorlage ins Parlament und 2018 konnten wir mit den Bauarbeiten beginnen.
Die Überbauung des Haldenhof-Areals hat aber eine noch längere Vorgeschichte…
Allerdings! Es gab immer wieder Anläufe für Bauprojekte. Jene aus den Jahren 1957, 1962 und 1971 scheiterten jedoch allesamt. 1996 stimmte der Stadtrat einer Änderung des heute noch geltenden Überbauungsplans aus dem Jahr 1961 zu. Es wurde damals die Genossenschaft Haldenhof gegründet, an der sich die Stadt mitbeteiligte. Sie wollte auf dem unbebauten Grundstück an der Felsenstrasse ein Mehrfamilienhaus errichten. Nach einem längeren Rechtsverfahren wurde, aufgrund von Rekursen aus der Nachbarschaft, diese Planänderung wieder aufgehoben. Ein reduziertes Projekt aus dem Jahr 2002 wurde erneut mit Rekursen angefochten. Deshalb sind wir umso glücklicher, dass es im sechsten Anlauf dann endlich geklappt hat!
Charakteristisch für die einstige Bebauung am Bernegghang waren ja Zeilenbauten…
…die sich entlang der zum Hang parallelen Strassenzüge aneinanderreihten, ja. Mit dieser Tradition haben wir im Projekt Haldenhof allerdings gebrochen: Anstelle einer Zeilenbebauung entstanden schlanke, turmartige Gebäudekörper, die den bebauten Hang durchlässig machen und das Licht fluten lassen.
Die Grossüberbauung wird so den Charakter des Quartiers neu prägen. Auf was galt es besonders Rücksicht zu nehmen?
Grundsätzlich auf die örtlichen Gegebenheiten. Mit senkrecht zum Hang stehenden Gebäuden bricht die Überbauung zwar mit der ortsüblichen Bebauungsstruktur von hangparallelen Bauten, schafft jedoch neue Qualitäten wie z. B. transparente Durchblicke Richtung Stadt und deren Umgebung, eine optimale, fliessende Ausrichtung aller Räume sowie hochwertige Freiräume. Insbesondere lag uns auch daran, einen attraktiven zentralen Platz zu schaffen, der sich weitflächig zwischen den vier Neubauten und dem Bestand aufspannt. Dieser soll zur Begegnungs- und Erholungszone werden, u. a. für Ältere und für Familien, die ihren Lebensmittelpunkt wohl eher ins Stadtzentrum verlegen, wenn sie wissen, dass der Nachwuchs dort unbeschwert und gefahrlos spielen kann.
Und was waren die baulichen Herausforderungen?
Wir mussten 2018 ein 20 Meter tiefes Loch in den Fels sprengen. Während einiger Zeit detonierten täglich fünf bis zehn Sprengladungen, da 25000 Kubikmeter Fels abzutragen waren. Gemäss sorgfältiger Vorabklärungen handelte es sich bei den Sprengungen um die schonendste Variante für alle Anwohner. Ein paar wenige Detonationen pro Tag machen lediglich während einigen Sekunden Lärm. Das Gestein in mühsamer Kleinarbeit mit Baggern aus dem Hang abzuspitzen, hätte hingegen viel mehr Geräuschemissionen und Unannehmlichkeiten für das Umfeld verursacht. Sämtliche Sprengungen wurden peinlichst genau überwacht, und auch nur millimeterkleinste Bewegungen des Hangs wären von uns registriert worden.
Die Überbauung «Haldenhof» ist ja nicht das erste Werk von Ihnen. Sie bauen, sanieren, restaurieren, renovieren seit 1976, als Sie sich mit 29 Jahren selbstständig gemacht haben. Was ist Ihnen bei einem Projekt wichtig?
In erster Linie muss man für die Benutzer – Bewohner, Industrie- oder Gewerbetreibende und deren Mitarbeitende – und für die Anwohner planen; man muss ihr Herz gewinnen und sie begeistern können! Eine weitere Priorität gilt dem städtebaulichen Kontext: Passt das Gebäude in seine Umgebung? Stets stellt sich auch die Frage: Welche Aussenhülle, welch schönes «Kleid» soll dieses Bauprojekt tragen? Damit meine ich, dass auch die Fassade enorm wichtig ist, denn ein Gebäude soll auch das Auge erfreuen. Und bei der Sanierung eines historischen Objekts sind – nebst den denkmalpflegerischen Auflagen – auch geschichtliche Aspekte zu beachten. Wenn ich ein altehrwürdiges Restaurant wie das «Bäumli» restauriere – mein erstes Projekt als Selbstständiger –, dann muss auf viele Faktoren Rücksicht genommen werden, wenn am Schluss alles stimmen soll. Das gilt übrigens auch für weniger alte, aber nichtsdestotrotz geschichtsträchtige, markante Häuser wie etwa das Bischoff-Textil-Hochhaus.
Trotzdem bauen Sie auch sehr modern, wie einige Ihrer Mehr- und Einfamilienhäuser zeigen.
Natürlich – modern heisst ja nicht schlecht, und historisch nicht automatisch gut. Mir ist es wichtig, dass der Kontext stimmt und dass sich die Benutzer später in dem Objekt wohlfühlen. Das war schon bei den Überbauungen Bernhardswiesweg oder Dufourpark in den 1980er-Jahren so. Der strengste Tester bin übrigens ich selbst: Ich habe schon etliche Objekte, die ich gebaut habe, selbst bewohnt. Zufrieden bin ich auch mit den anspruchsvollen Industrie- und Gewerbekomplexen, die ich realisiert habe, da sich diese auch nach vielen, vielen Jahren für die Bauherren als effizient und nachhaltig erweisen.
Und Sie arbeiten auch nach wie vor an einem ihrer wichtigsten Projekte, dem Sittertal-Areal, eine Art Lebenswerk.
Das Sittertal-Areal (eine ehemalige Textilfärberei) war ein Glücksfall: Da konnten wir eine immense Industriebrache umnutzen und kontinuierlich weiterentwickeln. Heute befindet sich dort eine Vielzahl von Gewerbe- und Wohneinheiten mit ganz unterschiedlichen, spannenden Nutzern aus über 40 Nationen, so u. a. die Stiftung für Arbeit, die Dock-Gruppe, die Stiftung Sitterwerk mit europaweit einzigartiger Kunstbibliothek, Werkstoffarchiv und Künstlerateliers, das Kesselhaus Josephsohn, die Kunstgiesserei Lehner sowie erfolgreiche Hightech-Unternehmen, Industrie- und Gewerbebetriebe, Kreative und Forscher aus aller Welt, ein Wasserkraftwerk und vieles mehr. Es herrschen dort mittlerweile eine grossartige Diversität, eine inspirierende, innovative Atmosphäre und lebendige Umgebung mit weltweiter Ausstrahlung, in der nicht nur ich mich überaus wohlfühle. In all den Jahren ist ein bereicherndes, interdisziplinäres und innovatives Netzwerk entstanden, wo sich Künstler, Handwerker, Wissenschaftler, Spezialisten aller Art, Bewohner und eine breite, kulturell interessierte Öffentlichkeit begegnen und austauschen. Darüber hinaus plane ich die Umsetzung eines zukunftsweisenden, autarken und nachhaltigen Energie-Konzepts mit Wasserkraftwerk, Blockheizkraftwerken und Grundwasser-Wärmepumpen.
Jahrelang haben Sie auch den Tröckneturm und das Burgweiher-Areal unterhalten, bis Sie das Grundstück 2019 quasi an die Stadt verschenkten – obwohl gerade diese verhindert hatte, dass Sie dort bauen.
Das Kulturdenkmal Tröckneturm hatte ich in eine Stiftung eingebracht, mit Nutzung als Begegnungsort, Tagungszentrum und Museum zur Wirtschafts- und Textilgeschichte der Stadt St.Gallen, und ich hätte auf dem riesigen Grundstück in der südöstlichen Ecke gerne vier Mehrfamilienhäuser gebaut. Diese Pläne wurden leider durch Einsprachen verhindert. Aber mein Ärger ist längst verflogen. Die einzige Bedingung, die ich an die Übergabe des Areals geknüpft habe: Es muss für die Stadt und ihre Bevölkerung auf dem Areal eine gute, sinnhafte und nachhaltige Entwicklung sichergestellt werden. Und es freut mich, dass inzwischen schon einiges Positives umgesetzt worden ist.
Sie waren auch jahrelang Präsident des «Liberalen Forums», mit dem Sie ab 1988 die St.Galler Kultur und Kulturpolitik liberalisieren und aufmischen wollten.
Ich bin ein Freisinniger im wahren Wortsinn – ein Liberaler durch und durch, mit hohem sozialem und kulturellem Verantwortungsbewusstsein. Ich stehe für mehr Freiheit und (Selbst-)Verantwortung nach humanistischen Grundsätzen ein. Der Staat soll sich weder ins Privat- noch ins Geschäftsleben einmischen – und auch nicht in die Kultur! Das wollten wir mit jährlich mehreren Vorträgen und Publikationen von «frei Denkenden» – international bekannten Persönlichkeiten wie Sir Karl Popper, Fritz Stern, Hans Magnus Enzensberger, Bernhard Schlink, Beat Kappeler oder Tobias Straumann – untermauern und so dem Liberalismus zu mehr Beachtung verhelfen. Ob uns das gut gelungen ist, wage ich ob der Staatsgläubigkeit vieler, auch sogenannt liberaler Politiker, allerdings zu bezweifeln (lacht).
Jetzt sind Sie 73 Jahre alt. Haben Sie sich schon Gedanken über eine allfällige Nachfolgeregelung gemacht?
Natürlich! Ich habe zwei langjährige, bewährte Mitarbeitende als Partner aufgenommen. Mein «Werk» und die Verantwortung in der H. J. Schmid & Partner Architekten AG werden dereinst Ivan Lechthaler und Melanie Wick übernehmen. Und meine sonstigen Aktivitäten, etwa im Bereich Immobilien, wird meine Tochter Olivia weiterführen. Wann aber die Stabübergabe sein wird, ist noch offen. Ich habe noch etliche Pläne, die ich gerne realisieren möchte – so etwa, den Haldenhof nach Westen hin zu erweitern.
Dieser Text von Stephan Ziegler ist aus der LEADER-Sonderausgabe zum neuen Haldenhof. Die LEADER-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch.